Renteneintritt mit 70? Alternativlos.

Aktuell kocht die Debatte bzgl. des Renteneintrittsalters wieder hoch. Was Ökonomen seit Jahren klar ist, wird nun von einigen Politikern und Experten wieder ins Spiel gebracht. Sofort kochen die Gemüter wieder hoch. Dabei unterstelle ich den Empörten aber direkt, nicht nachzudenken und zu engstirnig zu sein.

 

Waren wir zu Zeiten des deutschen Wirtschaftwunders in den 1950-1970er Jahren noch alle glücklich und zufrieden mit dem Renteneintritt bei 65 so ist das Festhalten daran nichts weiter als pure Nostalgie. Die Welt hat sich gravierend verändert und davor dürfen wir unsere Augen nicht verschließen. So war es damals normal, dass die meisten im Alter von 15 Jahren in eine Ausbildung gingen, da nur ein Bruchteil der Schüler später studiert hatte. Ab da zahlten sie bereits mit ihrer Ausbildungsvergütung in die Rentenkasse und die anderen Sozialversicherungsysteme ein. Wenn sie dann mit 65 Jahren in Rente gingen, dann hatten sie 50 Jahre Arbeitsleben hinter sich. Da die Lebenserwartung damals durchschnittlich bei 72 Jahren lag, stehen den 50 Jahren des Einzahlens lediglich 7 Jahre des Entnehmens gegenüber – rein statistisch gesehen.

Heutzutage wo Handwerk und Industrie kaum ihre offenen Lehrstellen besetzt kriegen, weil alle studieren wollen, ist der Eintritt in das steuerpflichtige Arbeitleben bei 30 Jahren. Mit dem aktuellen Renteneintrittsalter von 67 ergeben sich daraus keine 50 Jahre Arbeitsleben mehr, sondern nur noch 35 Jahre. Da wir aber heutzutage eine Lebenserwartung von 82 Jahren haben, stehen dem Einzahlen, von nur noch 35 Jahren, dagegen eine Entnahme von 15 Jahren gegenüber. Wir arbeiten also weniger, sind aber länger Rentner. Dazu kommt noch, dass die Rentner durch ihre höhere Lebenserwartung im hohen Alter auch relativ hohe Beträge aus der Krankenversicherung entnehmen. Nicht falsch verstehen: es geht mir nicht darum auf die Rentner loszugehen und zu sagen sie sollen früher sterben, weils billiger für unsere Staatskasse ist. Aber diese Diskrepanz zwischen Lebensarbeitsleistung und Rentendauer die sich über die Jahre zum Negativen verschoben hat, macht klar, dass wir bei dieser Frage nicht nostalgisch sein dürfen. Mit aller Gewalt an alten Gewohnheiten, wie z. B. dem Renteneintritt mit 65 festzuhalten, kann man natürlich wollen, aber wenn wir uns fragen ob wir das auch bezahlen können, müssen wir darauf eine Antwort parat haben. Dass es Generationen vor uns gab, die mit 65 in Rente gehen konnten, macht diese vielleicht zu Glückskindern, aber das heisst nicht, dass wir uns diesen Luxus auf ewig leisten können. Und, ob sie wirklich Glückskinder waren und das alles so toll war, wage ich ehrlich gesagt zu bezweifeln.

 

Viele argumentieren bei dieser Debatte reflexartig mit dem Geld welches unser Staat unsinnigerweise zum Fenster rausschmeisst und man erst mal dort einsparen sollte. Dem entgegne ich folgendes: Geldverschwendung ist kein neuzeitiges Phänomen. Die Politik warf unser wohlverdientes Geld schon immer mit vollen Händen raus, wie die Karnevalisten die Karamellen vom Karnevalswagen. Trotzdem ging damals die Rechnung noch halbwegs auf. Selbst wenn der Staat anfangen würde an allen Enden einzusparen, würde das nicht bedeuten wir können die gleichen Rentenleistungen für weniger Arbeitsleistung und längeren Rentenbezug beibehalten. Die jenigen die nun argumentieren, dass die jetzigen Rentner dann die Nutznießer wären die es noch gut hatten bevor das Rentensystem ungerecht wurde, der sollte sich mal fragen ob die jetzigen Rentner schon mal was von Work-Life-Balance, Sabbatical oder mehr als 24 Tagen Urlaub gehört hatten? Diesen neuzeitlichen Firlefanz hatten sie damals nämlich nicht. Es ist vielmehr so, dass wir uns heutzutage den Luxus "Freizeit" einfach rausnehmen und vergessen haben wie schwer unsere Eltern schuften mussten. Meine Mutter konnte nie auf eine Mutter-Kind-Kur, das gab es damals in dem Maße noch nicht. Sie haben sich den Eintritt mit 65 redlich verdient. Es kann nicht sein, dass wir heute später ins Arbeitsleben starten wollen, all die vorher erwähnten Annehmlichkeiten in unserem Berufsleben einfordern und dann auch noch in gleichem Maße in Rente gehen wollen. Rente können wir nur auszahlen, weil Menschen arbeiten. Wo nichts mehr erwirtschaftet wird, kann auch keine Rente ausgezahlt werden. Da unsere Botaniker noch keine Bäume züchten konnten auf denen Geld wächst, ist das Verlängern der Lebensarbeitszeit unumgänglich.

 

Was ich natürlich verstehe ist, dass ein Krankenpfleger nicht mit 70 noch Patienen hochheben und drehen kann. Auch ein Maurer oder Sanitärinstallateur kann mit 70 seine Baumaterialien nicht mehr in den 2. Stock schleppen. Wir brauchen auf dem Arbeitsmarkt also ein generelles Umdenken. Wir müssen strukturell etwas verändern. In einer schnelllebigen Zeit wie heute muss unser komplettes Wirtschaftsgefüge dahingehend neu gedacht werden, dass wir dieses in Etappen aufteilen. Keiner will gebrechliche und aufgearbeitete Menschen mit Packen voller Ziegel auf dem Dach balancieren sehen. Es muss heutzutage Strategien geben wie man ab einem bestimmten Alter in bestimmte Branchen wechseln kann, um dort seine restlichen 20 Jahre Berufsleben menschenwürdig und trotzdem wirtschaftlich produktiv zu absolvieren. Nur weil ein 60 Jähriger nicht mehr viel schleppen kann, heisst das nicht, dass er nicht auf andere Weise produktiv und wertvoll sein kein ohne sich körperlich zu Grunde zu richten. Ich weiss das redet sich vom Laptop aus leicht. Das will geplant und umgesetzt werden. Es wäre an der Zeit, dass unsere sogenannten Experten jetzt diese Transformation vorbereiten. Nur weil dies eine Mammutaufgabe ist, heisst das nicht, dass man sie nicht angehen sollte. Werden wir uns diesem Schritt verweigern, wird unser Sozialsystem über kurz oder lang kollabieren. Das ist unvermeidbar.

 

Deshalb plädiere ich für ein Renteneintrittsalter von 70 in einer strukturell erneuerten Arbeitswelt. Es kommt halt nur darauf an, was man arbeitet.

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