Putin, der Stratege.

Es wird interessant an der ostukrainischen Grenze: Wird es Krieg geben oder nicht? Keiner scheint es so recht zu wissen, denn keiner kann in den Kopf des russischen Staatsoberhaupts blicken, aber irgendwie reden alle über nichts anderes mehr. Dennoch spekulieren alle Politiker und Experten über mögliche Kriegsabsichten von Wladimir Putin als wären sie alle Experten, bzgl. russischer Interessen und Strategien. Aber irgendwie scheinen viele nicht auf das zu blicken, was in den letzten Jahrzehnten bereits passiert ist.

 

Gehen wir mal in die glorreichen Jahrzehnte zurück und sehen uns an wie sich Putin präsentiert hatte, als er noch in den G8 und G20 vertreten war. Er war und ist ein Machtmensch der der aus einem veralteten patriarchalischen System entstammt. Das Bild von Männlichkeit das er persönlich verkörpert ist mit dem unserem zu-tode-gegendertem Bild eines Weichlings nicht vereinbar. Während der Zeitgeist hierzulande unsere Männer gerne beim Windeln wechseln, Abspülen oder gemeinsamen Weinen vor dem Fernseher zeigt, stellt sich Putin gerne als knallharter Eishockeyspieler, Raubtierjäger oder oberkörperfreier Muskelprotz zu Pferde dar. Während der westeuropäische Mann hierzulande in der Öffentlichkeit kein Problem damit hat bei den Kindern zu Hause zu bleiben, während seine Frau Aussenministerin spielt, umgibt sich der oberste Mann in Russland lieber mit Dingen die dem "veralteten" Weltbild entsprechen. Das ist selbst seinem seltsam holzigen Gang zu entnehmen. Somit ist klar, dass ein "Harter Mann" wie Putin sich zu allererst über seine Stärke und sein Image definiert. Das was er nach aussen verkörpern will ist Souveränität und Überlegenheit um ins Land hinein Führungsstärke zu versichern. Darüberhinaus war er Chef des KGB. Putin hat also vor seiner politischen Karriere Dinge getan oder befohlen, die Annalena Baerbock nur aus James Bond-Filmen kennt. Er ist ein eiskalter Stratege durch und durch – wie gut oder wie schlecht lasse ich mal dahin gestellt – aber wir können festhalten, dass er sich nicht von Emotionen leiten lässt. Vielmehr, bedient er sich Emotionen um diese in seinen Strategien gegen den Gegner einzusetzen.

 

Einen Strategen nenne ich ihn weil er selten etwas aus purer Hitzköpfigkeit heraus getan hat. Die Annexion der Krim war kein mißlungener Überfall auf die Ukraine, sondern aus seiner Sicht erstmal ein voller Erfolg. Viele unterstellen ihm er würde sich gerne die Ukraine einverleiben. Leider lassen sie dabei ausser Acht, dass eine Übernahme der Ukraine den russischen Staat auch Geld kosten würde – Geld das der russische Staat nicht hat. Die Krim hingegen ist ein geostrategischeer Ort, der für die Stationierung interessanter ist als die Ukraine selbst. Mehr als die Krim wollte er damals gar nicht.

Im Nachhineien kann man auch erkennen, dass er kein Interesse an an Syrien hatte. Nur, nach der Annexion der Krim war die Empörung, speziell aus der EU, so enorm, dass niemand mehr von etwas Anderem gesprochen hatte. 2014 war quasi von diesem ungeheurlichen Vorgang dominiert. Kurz danach begann ein beeindruckendes Ablenkmanöver wie die EU es noch nicht gesehen hat, denn in 2015 begannen die Russen sich in den Bürgerkrieg in Syrien miteinzuschalten und haben mit den damit verbundenen Flächenbombardements massive Flüchtlingsströme in Richtung EU ausgelöst. Damit begann bei uns 2015 die Migrationskrise, die unsere Aufmerksamkeit auf Jahre hinaus voll vereinnahmt hatte und die Annexion der Krim völlig in Vergessenheit geraten ließ. Genial. An einen Zufall glaubte ich schon damals nicht, denn als das Interesse der Welt an diesem Bruch des Völkerrechts das Interesse vollends verloren hatte, zog Putin sich auch unbemerkt aus Syrien wieder zurück. Hatte sein Eingreifen zu Gunsten Assads seinen Zweck, wie von ihm antizipiert, doch erfüllt. Natürlich hatte er erwartet, dass sich die Empörung irgendwann legen würde, denn er hatte seine politische, militärische und strategische Stärke durch die Annexion der Krim und die Intervention in Syrien doch bewiesen. In seinen Augen wäre Russland wieder als Weltmacht sichtbar und müsste auf den höchsten Ebenen der politischen Kreise irgendwann wieder eingeladen werden. Bislang blieb das aber trotzdem aus. Zudem hatte der damalige US-Präsident Obama Russland dann noch zur regionalen Macht herabgestuft, was einem Mann der sich gerne auch mal beim Karate oder beim Ringen mit Wölfen zeigt, nicht wirklich schmecken kann.

 

Nun ist Russland kein Staat der vor Reichtum oder Modernität strotzt und somit für jedermann auf der Welt attraktiv ist. Genau betrachtet, ist Russland eine größere, und militärisch wie finanziell etwas besser gestellte DDR. Nur weil dort einige wenige Oligarchen enormen Reichtum anghäuft haben, ist Russland in der Breite kein reiches Land. Viele Menschen leben dort also nicht weil das Land diese wirtschaftliche Attraktivität besitzt, sondern weil viele sich einfach damit abgefunden haben, keine andere Option zu haben. Somit ist es für ein Staatsoberhaupt unumgänglich wenigstens politische Stärke zu verkörpern – ein Problem das auch ein Präsident Erdogan nur zu gut kennt, da dieser der finanziellen Erosion seines Landes bereits seit Jahren zusehen muss.

 

Jetzt stelle man sich vor: ein Wladimir Putin, der sich auch mal gerne beim Krafttraining oder beim Untersuchen eines Tigers zeigen lässt, bekommt von einer frisch ins Amt der Aussemninisterin gewählten Annalena Baerbock, kurz nach deren Amtsantritt mit markigen Worten die "Leviten gelesen". Klar versteht sich unsere oberste Grüne als Kapazität in Sachen Völkerrecht, aber um sich aus ihrer politischen Pubertät zu lösen um im Big-Business der Weltpolitik anzukommen, hat sie sich leider den falschen ausgesucht. Aus unserer europäischen Sichtweise legt sie unsere westlichen Maßstäbe zu gern, und zu naiv wie auch arrogant, an jedes Land der Welt an. Aber ein Mann, der unseren ehemaligen Bundeskanzler schon komplett auf seine dunkle Seite gezogen hatte – lange bevor ihr eigener Name im politischen Zirkus bekannt war – wird sich wohl kaum von einer Anfängerin die Leviten lesen, geschweige denn, einschüchtern lassen. Sie spricht da nicht mit ihrem Ehemann der für sie seine berufliche Karriere aufgegeben hatte. Sie spricht mit einem Mann der sich auch mal gerne mit einer durchgeladenen Kalaschnikov fotografieren lässt weil das seinem Bild vom Männlichkeit entspricht. Einem Mann, der sich von keiner Frau Vorschriften machen lässt. Nicht dass ich das gut heisse, aber kluge europäische Diplomatie sieht einfach anders aus, als vorlaut auf die Pauke zu hauen.

 

Wer seinem Gegner entgegen treten möchte um mit ihm zu verhandeln, der sollte von seinem hohen Roß heruntersteigen und zu allererst seinen Gegner verstehen. Man sollte herausfinden mit wem man es da zu tun hat; was ihm wichtig ist und was ihn antreibt. Nur dann versteht man wie man mit ihm umgehen muss. Es kann einem Mann wie Putin nicht genügen, militärische Macht zu haben, obwohl ihm trotzdem aufgrund etlicher Sanktionen die Türe zu obersten Weltbühne verschlossen bleibt. Ein Mann wie Putin versteht sich als Macher, als oberster Landesvater, als Leader und im schlimmsten Fall auch als Kriegsherr – und genau so will er auch wahrgenommen und akzeptiert werden. Er will in der obersten Riege mitmischen, mitentscheiden, und er will sicherstellen, dass dies in absehbarer Zukunft keiner mehr anzweifelt. Das muss uns nicht gefallen, aber wir werden ihn nicht einschüchtern können, weil er sich einen solchen Imageverlust politisch überhaupt nicht leisten kann. Wer von Russland und Putin etwas will, der muss auch etwas anbieten können. Darüberhinaus, heisst Verhandeln auch genau das. Es heisst eben nicht, großmäulig dort hinzufahren und bedingungslos Dinge einzufordern. Verhandeln heisst, ich biete dir das und du gibts mir das. Oder glaubt vielleicht irgendwer, dass Genscher und Kohl damals die Wiedervereinigung bedingungslos einfordern konnten ohne der UDSSR irgendetwas anbieten zu können? Klar kam es den Sowjets gerade Recht, die DDR als Geldgrab loszuwerden. Aber sie hätten es nie zugelassen, wenn sie dabei nicht gönnerisch, sondern alternativlos und schwach ausgesehen hätten. Putin wird keiner, für Europa verträglichen, Lösung zustimmen können wenn er dabei sein Gesicht verliert. Wer das glaubt, der sollte bitte die Finger von der Diplomatie lassen, und seine berufliche Zukunft woanders suchen. Ich halte Putins Verhalten eher für ein hochriskantes Pokerspiel; riskant allerdings auch für ihn selbst. Er hat mindestens genauso viel zu verlieren, wie der Rest der Welt. Der Unterschied ist, dass er mit seiner Sicht auf die Dinge mehr Risiko eingehen wird (und muss), und dabei vermutlich sogar die stärkeren Nerven hat.

 

Viele vergleichen die aktuelle Situation in der Ukrainie mit der Kubakrise. Dabei übersehen diese "Experten" aber eine wichtige Sache. Damals hat die Sowjetunion alles menschenmögliche unternommen um den Transport und die Stationierung der Atomwaffen auf Kuba geheim zu halten. Denn damals war das Ziel tatsächlich, die USA jederzeit angreifen zu können, wenn dies nötig sein würde. Die Raketen wurden auf Kuba nur duch massive Anstregnungen der Geheimdienste, und da vielleicht auch nur durch Zufall entdeckt.

Der aktuelle Aufmarsch der russischen Truppen an der ukrainischen Grenze läuft aber fast schon wie eine Live-Sendung die genüßlich zelebriert wird. Wenn ein Krieg wirklich das Ziel wäre, warum sollte Putin so lange zögern und jeden seiner Schachzüge stets nachvollziehbar machen? Damit gäbe er doch der NATO die Möglichkeit auf seine Schachzüge zu reagieren und sich selbst eine Strategie zu überlegen, wohingegen er dann ohne Überraschungsmoment zuschlagen müsste. Also kann das kein rein militärisches und kriegerisches Szenario sein. Wer Krieg führen will, der will seinen Gegner überraschen, überrumpeln und kalt erwischen – Er will jeder Gegenwehr zuvor kommen. Putin will aber offenkundig, dass die Welt bei seinem Aufmarsch zusieht und seine militärische Stärke zur Kenntnis nimmt, weil er damit ein Ziel verfolgt. Er baut eine Drohkulisse auf, die man fotografieren und in seine Galerie von Karatekämpfen, Panzerfahrten und Badesessions in Eisseen nahtlos einfügen könnte, weil sie 1:1 zu seinem Selbstbild eines narzisstischen Parademachos passt. Er verfolgt also eine Strategie bei der er, aus der bloßen Furcht vor einem Krieg, einen gewissen Nutzen ziehen kann. Was das genau ist, kann ausser ihm keiner sicher sagen, aber er wird dies zu gegebener Zeit offenbaren. Ganz so wie man beim Poker sein bestes Blatt im richtigen Moment auspielt.

 

Deswegen ist meine Vermutung, dass dieses ganze martialische Auffahren nur eines im Sinn hat: Putin will Anerkennung und Respekt. Nicht falsch verstehen: ich gebe ihm keinesfalls Recht. Mich ödet dieses Macho-Getue auch maximal an. Nichts desto trotz wird ihn meine Ablehnung für sein plumpes Verhalten kaum interessieren. Immerhin bin ich ein winziger Schreiberling und er der Oberkommandeur über ein, zwar veraltetes, aber doch beeindruckendes Atomwaffenarsenal. Das müssen sich unsere unreifen Politikneulinge schnellstmöglich klarmachen. Was Putin sicher wollte ist Aufmerksamkeit, und die hat er jetzt. Er ist jetzt wieder im Mittelpunkt des weltpolitischen Geschehens und straft einen Barack Obama, mit seinen arroganten Aussagen über Russland, Lügen. Die Wichtigkeit eines Wladimir Putin kann aktuell keiner, dessen Meinung Gewicht hat, auch nur ansatzweise in Abrede stellen. Immerhin ist er der Mann der es in der Hand hat ob Europa den ersten Krieg seit über 70 Jahren durchleben muss. Das denke ich ist, Schritt 1 den Putin als erreicht abhaken kann.

 

Egal ob Olaf Scholz, Annalena Baerbock oder Ursula von der Leyen: Man sollte zwar ein klare Haltung haben aber sich nicht vor irgendeinen Karren spannen lassen. Aber, aus Furcht das Falsche zu tun, erstmal gar nichts zu tun, ist keine Haltung – es verdeutlicht eher die Absenz einer eigenen Haltung. Ich weiss auch nicht ob ich persönlich Waffenlieferungen an die Ukraine richtig finden würde. Die Lieferung von 5000 Helmen jedoch halte ich für mehr als lächerlich. Da hätte man genauso gut Tischtennisschläger oder Handyhüllen schicken können. Auch wenn wir Deutschen den Wünschen der Ukraine nicht entsprechen wollen oder können, finde ich sollten wir uns mit unseren Bündnispartnern demokratisch abstimmen und diese Entscheidungen voll mittragen. Aber hier kommt wieder das typisch deutsche Verständnis von Demokratie zum tragen, dass man nur das bereit ist "demokratisch" mitzutragen, was man selbst für richtig erachtet, nicht das was von der Mehrheit beschlossen wurde. Wenn sich die NATO mehrheitlich für ein bestimmtes Vorgehen entscheidet, dann sollte Deutschland dies auch mittragen. Punkt. Mit der aktuellen Raushalte-Taktik verprellen wir nicht nur die Ukraine, sondern auch unsere Verbündeten und spielen Putin bei seinem nächsten Punkt voll in die Hände: der Spaltung der NATO-Bündnispartner, ganz nach dem Motto teile und herrsche. Je mehr Uneinigkeit, die Putin zwischen den EU-Staaten, dem Baltikum und den USA sähen kann, desto stärker wird sein Bündnis mit dem belarussischen Präsidenten Lukaschenko sein.

 

Letztendlich sollte sich gerade die Riege derer die sich stets gegen das 2% Ziel der NATO ausgesprochen hat, bewusst werden, dass unsere Welt nicht annähernd so friedlich ist, wie sie sich das in ihrer jugendlichen Naivität während ihrer Teenagerjahre eingeredet hatten. Die EU sollte verstehen, dass ein geschlossenes Auftreten nicht nur bedeutet diplomatisch mit einer Stimme zu sprechen. Die EU braucht eine gemeinsame militärische Lösung, die auch finanziert und modernisiert werden will – ob uns das in unserer grünen Blase gefällt oder nicht.

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