Man fragt sich seit Beginn der Pandemie was hier in Deutschland schief läuft. Nie habe ich es erlebt, dass über ein Thema so viel geredet wurde, und man aber im Gegenzug zu so wenig Konsens gekommen ist. Ich denke das größte Problem in der Diskussion um Regeln, Impfpflichten und den Umgang mit den Querdenkern – im Prinzip dem gesamten Blumenstrauß bzgl. dieses Themas – ist die Empörung Einzelner. Die Frage ist, was bringt uns dazu "empört" zu sein? Einfache Antwort: Emotion.
Das was uns Menschen das Gefühl gibt wirklich "Mensch" zu sein ist die Fähigkeit Sachverhalte emotional zu betrachten – zumindest glauben wir das. In unserer mittlerweile gesellschaftlich völlig überintellektualisierten Art mit Dingen umzugehen, halten wir uns für besonders menschlich, wenn wir alle Aspekte unseres Lebens mit Emotion versehen. Alles wird reflektiert und zu allem braucht der Deutsche eine "romantische" Erzählung. Da ist von "Der liebe Gott", und "Mutter Natur" alles dabei was uns auch nur im Geringsten ein Gefühl von Geborgenheit gibt. Dabei erkennen wir nicht, von wieviel Nüchternheit wir eigentlich seit Anbeginn der Zeit umgeben sind. Oder glaubt jemand, dass der Urknall eine emotionale Sache war?
Natürlich kann man sich unter dem Mikroskop eine Samenzelle ansehen wie sie in die Eizelle eindringt, und natürlich stellt sich der Mensch hin und sagt "Ach wie putzig, schau mal". Aber gerade hier zeigt sich die brutale Nüchternheit des Vorgangs. Es muss nämlich nur Eine von Millionen von Spermien den Weg bis zur Eizelle schaffen um eine Schwangerschaft auszulösen. Glaubt allen Ernstes jemand, Mutter Natur würde alle Spermien, die es nicht geschafft haben, betrauern? Glaubt jemand Mutter Natur wäre diesbezüglich empört? Nein, sicher nicht, denn es ist eine nüchterne Sequenz die hier wieder und wieder abläuft.
Wir müssen nach all den Jahren der Verweichlichung unserer Gesellschaft dahin zurückkehren, Dinge wieder so nüchtern zu betrachen wie es angebracht ist. Wir werden keine Strukturen, Zusammenhänge oder Sequenzen erkennen, wenn wir uns immer nur auf die Einzelfällen einlassen. Das große Ganze sehen wir nur wenn wir einen Schritt zurücktreten und das Gesamtbild ohne Emotionen und Empörung betrachten. Es steckt nichts emotionales in der Sequenz Ansteckung-Krankheitsverlauf-Genesung oder der Sequenz Ansteckung-Krankheitsverlauf-Tod. Nüchtern betrachtet ist diese Sequenz lediglich eine sture Abfolge von Funktionen die sich einfach nur milliardenfach wiederholt. Natürlich kann ich bei jeder dieser einzelnen Sequenzen das Schicksal dahinter betrachten, aber das tut nicht Mutter Natur, sondern nur der Mensch. Das kann der Mensch natürlich so emotional betrachten; dann versteht er aber leider auch NUR das Einzelschicksal und nicht den großen Zusammenhang dahinter, und stellt sich mit seiner Empörung in eine Sackgasse.
Bei meiner nüchternen Art zu argumentieren unterstellt man mir gerne ich wäre ein Unmensch. Man stellt mir die Frage ob ich denn kein Problem damit hätte, dass Menschen sterben. Meine klare Antwort: nein es macht mir nichts aus. Macht mich das zu einem Unmenschen? Sicher nicht! Ich wäre es würde ich ihnen den Tod wünschen. Das tue ich aber nicht, ich akzeptiere ihn lediglich. Wäre ich mit meinen Aussagen tatsächlich ein Unmensch, dann würde das bedeuten, dass ich genauso undifferenziert und überemotionalisiert an die Sache herangehen würde, wie meine Kritiker. Deren Sichtweise lässt nämlich auf konsequente Weise ausser Acht, dass mit Rechten immer Pflichten einher gehen. Deren emotionale Herangehensweise ist aber nichts anderes als Rosinenpickerei: Wir nehmen uns unsere Rechte heraus aber weisen die Pflichten zurück. Ich will das mal verdeutlichen:
Wer Schutz möchte muss auch Schutz geben.
Der einzelne Bürger möchte vom Staat geschützt werden und fordert diesen Schutz ultimativ und individuell ein, obwohl das im Grundgesetz so nicht ausformuliert ist. Im gleichen Atemzug sind viele aber nicht bereit sich mit der Impfung am Schutz der Allgemeinheit zu beteiligen. Man geht lieber den emotionalen Weg und empört sich darüber, dass die eigene körperliche Unversehrtheit nicht mehr garantiert ist.
Und ultimativ: wer das Recht haben möchte geboren zu werden, der muss auch seine Pflicht akzeptieren zu sterben.
Hier sind wir wieder bei einer nüchternen Sequenz angekommen Geburt-Leben-Tod – die natürlichste Sequenz aller Sequenzen. Im Einzelschicksal sicher auch die Schmerzvollste und auch die, die wir in unserer modernen Gesellschaft am schwersten akzeptieren können. Aber wir müssen auch verstehen, dass sich diese Sequenz nicht für unsere Empörung interessiert. Sie ist nämlich so rational und unemotional wie wir selbst sein müssten um ihr zu begegnen. So wie jeder aktuell Lebende das Recht hatte einen Platz in dieser Welt zu bekommen, so muss er auch akzeptieren, dass dieser Platz nur geliehen ist, und er diesen für den Nächsten, mit den gleichen Rechten, wieder freimachen muss. Die nüchterne Sequenz versteht das; wir in unserer vermenschlichten Empörung hingegen leider nicht. Nur so ist das Verhalten zu erklären, dass wir das Sterben tabuisieren und neues Leben trotzdem willkommen heissen.
Wenn wir rational an die Sache herangehen, verstehen wir auch, dass das von Herrn Söder so gerne bemühte "zu frühe Sterben" kein Phänomen ist, dass wir nur auf Corona zurückführen können. Jeder kann sich auch in seinem eigenen Umfeld umblicken und wird sich an Fälle von vor Corona erinnern, wo 45-jährige Freunde Herzinfarkten, Dreijährige der Leukämie, und extrem rüstige 65 Jährige plötzlich einer kurzen schweren Krebserkrankung erlegen sind. Man kann allen diesen Fällen attestieren, dass diese Menschen gefühlt zu früh gestorben sind. Aber man muss sich rational auch einmal fragen, ob es irgendjemand geben kann, bei dem man NICHT sagen würde, dass er zu früh gegangen ist? Ich könnte nach der Argumentation meiner Kritiker auch sagen Heinz Rühmann wäre mit seinen 92 Jahren zu früh gestorben. Hätte er nochmal 10 weitere Jahre gelebt, dann hätten wir vielleicht noch zwei weitere Filme mit ihm bekommen können. Haben wir aber nicht. Seine Zeit war eben abgelaufen und ein anderer wertvoller Mensch ist im dafür ins Leben nachgefolgt. Mein eigener Vater wurde 81 Jahre alt. Natürlich hätte ich gerne noch viele Jahre mit ihm gehabt, aber auch er hatte keine Wahl – und das ohne Corona. Das musste ich ohne Empörung akzeptieren.
Das bedeut für mich, dass Corona unsere Wahrnehmung stark verzerrt, bzw. verschoben hat. Seltsamerweise aber genau in die falsche Richtung. Es ging nämlich nicht in eine Richtung die uns einem Verstehen unseres Daseins näher bringt, sondern es verschwurbelt dies noch umso mehr. Dabei meine ich aber tatsächlich die Befürworter der Corona-Maßnahmen und die Verschwörungstheoretiker gleichermaßen. Beide bedienen sich jeweils einer Erzählweise die von den Fakten weg, hin zu reiner Emotionalisierung geht, um die eigenen Standpunkte in die Köpfe der Bürger zu bringen. Was wir dabei sehen ist, dass beide Seiten sich nur auf ihre eigene Empörung konzentrieren und dabei das Unvermeidliche aus den Augen verlieren. Mein Fazit hierbei ist, dass wir es irgendwie seit unserer Kindheit nicht aus dem Märchenvorlese-Modus heraus geschafft haben. Wir müssen als Menschen alle Sachverhalte unseres Daseins in romantische Fabeln verpacken um sie für uns zu verstehen. Vermutlich tun wir uns deswegen auch so schwer mit den Zahlen umzugehen, weil Zahlen einfach keine Metapher von Grauen weisen Männern in den Wolken, einer fürsorglichen Mutter Natur und einer Nation von kleinen folgsamen Zwergen sind. Sie sind auch keine Metapher für den großen bösen Wolf, Pharisäer oder den Gehuften der hinter unseren Seelen her ist. Zahlen sind rational, nüchtern und ohne Emotion. Die Emotionen packen ausschließlich wir Menschen rein und somit bekommen je nach persönlicher Gefühlslage die Zahlen stets eine andere Bedeutung, weil sich von Person zu Person der Kontext ändert. Solange wir das nicht erkennen wollen, werden wir an den Zahlen verzweifeln und in unserem Handeln weiter scheitern...
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