Ein Politiker muss in der öffentlichen Wahrnehmung zum Wohle seiner Bürger handeln. Ich betone bewusst die Wahrnehmung, denn die eigentlichen Intentionen des Politikers sind grundsätzlich erstmal nicht relevant. Wichtig ist, was der Bürger denkt. Deshalb wurden alle Maßnahmen darauf ausgerichtet, dass der Bürger sich geschützt fühlt.
Somit war letzten März klar, dass wir alle in einen Lockdown gehen würden, um Menschenleben zu retten. Unmittelbar nach dieser Ankündigung hatten sich Bürgerrechtler und Ethiker zu Wort gemeldet und prophezeit, dass der Weg in den Lockdown wesentlich einfacher sein wird, als der Weg hinaus. Man gab zu bedenken, dass man sich für den Falle eines Lockdowns unbedingt vorher eine Strategie für den Exit zurechtlegen muss, da die ethischen Hürden in den Lockdown zu gehen leichter zu überwinden sein werden, als die Hürden zurück zur Normalität. Das ist auch logisch: der Lockdown kann problemlos als Ausnahmezustand argumentiert werden. Dabei werden zu rettende Menschenleben und der Schutz der Bevölkerung als Grund angeführt. Da man sich übereilig diese überaus hochgegriffene Verantwortung auf die Fahne geschrieben hatte, war damit leider auch die Latte für die legitimierten Maßnahmen extrem hochgelegt. Dadurch hatte man zum Einen die Gefahr wesentlich höher eingestuft als bei allen bisherigen Fällen; von EHEC über die Schweine- und Geflügelpest bis hin zu HIV. Zum Anderen aber auch die Maßnahmen zu Beginn schon gefühlt auf "Defcon 1" hochgeschraubt. Hier hat man sich keine Luft nach oben hin gelassen und ist direkt zur Ultima Ratio übergegangen. Was sollte da als Maßnahme im weiteren Verlauf noch bleiben?
Es scheint, als hätte im Frühjahr 2020 so mancher Politiker Morgenluft gerochen und geglaubt bei diesem "vermeintlich kurzen Intermezzo" Punkte auf dem Berliner Parkett sammeln zu können. Doch je länger der Zustand bestehen blieb – und ich gehe mal davon aus, dass den Verantwortlichen damals nicht klar war wie lange es dauern würde – desto schwerwiegender mussten wiederum die Argumente für den Ausstieg sein. Aber, warum sollte sich an der Argumentation und am Sicherheitsbedürfnis von Beginn der Pandemie zum gegenwärtigen Zeiutpunkt etwas verändert haben? Wer zu Beginn jedes Leben retten wollte, der kann doch nicht ein Jahr später doch Menschen opfern wollen? Die dafür notwendige Argumentation und Erklärung findet die Politik logischerweise nicht, denn hier hat sie aus Übereifer die Büchse der Pandora geöffnet. Sie bekommt die einst so menschlichen Worte, mit Argumenten bezüglich Finanzen, nicht wieder eingefangen. Selbst wenn unsere Entscheider diese ursprüngliche Strategie bereits bereuen und für nicht mehr zielführend erachten würden, müssten sie sich genau an dieser damaligen Entscheidung messen lassen und finden deswegen den Ausgang nicht mehr.
Deshalb sieht es für mich persönlich so aus, dass die Politik dies aktuell so weiter durchziehen wird, bis sie vom Bundesgerichtshof ausgebremst wird. Es mag den Verantwortlichen unter Umständen schon sehr lange klar sein, dass der Schutz von Menschenleben nicht mehr finanzierbar ist. Es mag auch sein, dass die Poltik schon lange diese Abwägung zwischen Finanzierbarkeit und Schutz von Menschen neu treffen wollen würde. Sie kann es aber nicht, weil sie an ihren bisherigen pathetischen Worten gemessen wird, mit denen jede bislang kritische Stimme – von Medizinethikern bis hin zum Präsident der Bundesärztekammer – niedergebrüllt wurde. Das Einzige was dann noch bliebe, ist von einer höheren Instanz ausgebremst zu werden. Ich denke, dass dies auch das Kalkül der Politik ist. Das hat nämlich den Vorteil, dass man als Verantwortlicher jederzeit sagen kann "Ich hätte weiter Menschenleben an 1. Stelle gesetzt, aber ich darf das vom Gesetz her nicht mehr". Da wäscht der Politiker dann seine Hände in Unschuld, wenn die Maßnahmen rigide eingeschränkt werden müssen und dabei die Todeszahlen wieder in die Höhe schnellen.
Allerdings habe ich den Eindruck, dass die Politik schon sehr lange eingebremst werden wollte und man den aktuellen Kurs schon lange aufgegeben hätte. Nur hatte die Politik nicht ansatzweise damit rechnen können, dass sowohl die komplette Bevölkerung als auch Politik und Wissenschaft sich so extrem lange hinter die unliebsamen Maßnahmen stellen würden. Dass diese Notbremse durch das Grundgesetz so lange auf sich warten lassen würde hatte keiner auf dem Schirm. Vielleicht hatte man sich schon im Herbst 2020 über kritische Stimmen wie die von Christian Lindner gefreut, aber leider waren sie nicht überzeugend und nachhaltig genug. Vermutlich war auch das nur politischer Aktionismus und weniger ein aufrichtig geführter Kampf um unsere Grundrechte. Denn auch ein Herr Lindner wird stark geleitet von dem was die Bevölkerung zu wollen scheint. Und da über die letzten 11 Monate hinweg für einen Großteil der Bevölkerung eine gewisse Gewöhnung eingetreten ist, war es für die Allgemeinheit leichter die Maßnahmen weiter zu akzeptieren. Das mag auch daran liegen, dass für viele im Homeoffice das Geräusch des aus der Staatskasse rieseldenen Geldes nicht laut genug bis in ihre Schutzzone gedrungen ist. Aber unsere Staatskasse bekommt aktuell ein Problem, wofür in der Zukunft noch Generationen bezahlen müssen die von dieser Pandemie nur noch aus dem Geschichtsunterricht erfahren werden. Das wird einigen Verantwortlichen jetzt schon klar sein und dem Rest wird es dann in naher Zukunft dämmern (müssen).
Es wird Zeit, dass sich endlich auch Juristen auf allen Ebenen mit diesem Thema eingehend befassen. Wir haben ein Grundgesetz und es ist an der Zeit, dass dieses unfassbar wichtige Machwerk von Rechtsgelehrten, gerade in Bezug auf die Pandemie, neu bewertet wird. Es muss klar und emotionslos herausgearbeitet werden welche Grundrechte untereinander korrellieren. Es muss dringend analysiert werden, welche Grundrechte zu Gunsten anderer Grundrechte höher bewertet wurden und ob dies zu irgendeinem Zeitpunkt gerechtfertigt war. Selbst wenn dies zu Beginn der Pandemie der Fall war, muss sichergestellt werden ob dies aktuell noch so rechtzufertigen ist. Ein Fortführen dieses rechtlichen Grauzustands, rein aus Gewohntheit, kann nicht im Sinne des Grundgesetzes sein. Wir haben 70 Jahre auf dieses Grundgesetz vertraut und immer wieder darauf beharrt – egal ob gegenüber den eigenen Bürgern oder gegenüber Ländern deren Rechtstaatlickeit in unseren Augen zu wünschen übrig lässt. Wenn uns unsere Verfassung seit Gründung der BRD immer so wichtig war, muss sie es uns heute auch noch sein!
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