Es läuft einem kalt den Rücken hinunter wenn man sieht wie die Kunstbranche aktuell regelrecht vaporisiert wird. Da ich selbst Musiker bin und einst auf eine Zukunft in der Musikbranche hingearbeitet hatte, bin ich aktuell heilfroh es, trotz etlicher Erfolge, nicht dauerhaft geschafft zu haben. Eine Landschaft aus Musikern, Schauspielern und bildenden Künstlern ächzt unter dem Total-Lockdown. Dennoch lässt auch diese Branche einige Chancen verstreichen. Zwar sind die aktuellen Probleme offensichtlich, aber die Branche war nie frei davon.
Den Begriff "Starving Artist" gibt es nicht erst seit Corona. Probleme hatten Künstler seit jeher. Ich erinnere mich noch an die Zeit als ich den Vertrag zu meinem ersten Album unterschrieb. Ich hatte tatsächlich den Eindruck ich hätte es geschafft. Es sah alles so verheißungsvoll aus und irgendwie stand einem gefühlt die Welt offen. Jetzt muss nur noch die Promo-Maschine anlaufen und dann werden so richtig Einheiten verkauft. Denkste! Etwa zwei Wochen später hörte ich zum ersten Mal das Wort "Napster". Ich hatte noch nicht wirklich verstanden was dort genau vor sich ging da hörte ich schon Namen wie "Lime Wire" und "Bit Torrent" und schnell wurde klar, dass es plötzlich möglich war, Musik kostenlos im Internet herunterzuladen – am Künstler vorbei. So fand sich damals auch mein Album auf diesen Tauschbörsen und es war klar, dass mit diesem Hype die Verkaufszahlen für alle Künstler stark einbrechen würden. So kam es dann auch. Was mir aber damals schon klar wurde war, dass Künstler im Gegensatz zu Fabrikarbeitern wesentlich schlechter organisiert sind. Künstler sind Einzelkämpfer. Es gibt keine echte Interessenvertretung. Es gibt zwar die GEMA, die sich um die Tantiemen der Komponisten oder Texter kümmert und es gibt auch die Künstlersozialkasse eine Sozialversicherung für freischaffende Künstler organisiert, aber beide kümmern sich nicht um die generellen Interessen der Künstler. Ein Bassist oder ein Trompeter der in einer Band spielt, profitiert nicht von den Tantiemen die der Komponist einstreicht. Er wird für das Spielen seines Instruments bezahlt. Wenn er das nicht kann gibt es auch kein Geld. Zwar gibt es Interessenverbände für Musik-Consultants aber einen Zusammenschluss der Musiker, bei dem die Mitglieder mit einer Stimme sprechen, ist nirgends zu finden.
Es mag in der Verklärung begründet sein der Künstler sei einzigartig – keine Drohne die jeden Tag einer "stupiden" Beschäftigung nachgeht. Er ist ein Freigeist der tut was er will. Er will die Welt mit seiner Kunst verändern. Aber unsere Welt ist einfach nicht so gestrickt, dass ein Einzelner die Welt verändern kann, auch wenn dies durchaus wünschenswert wäre. Greta Thunberg mag das Gesicht von FFF sein aber ohne die Menschenmassen dahinter wäre ihre Stimme schnell verhallt. Wir schöpfen alle Kraft daraus, dass wir uns zu sozialen Verbänden zusammengeschlossen haben. Wir brauchen einander. In der Kunst ist jedoch jeder für sich selbst. Zwar gibt es bei Verdi einen Unterverband "Kunst", aber dieser tritt öffentlich kaum in Erscheinung. Wenn man in den Nachrichten Streiks oder Demos von Gewerkschaften sieht, dann sind das die Zugführer, Piloten oder Arbeiter. Manchmal sieht man auch die Verkäufer oder die Angestellten. Musiker hatte ich noch keine gesehen.
Den Arbeitern, zu Zeiten der Industrialisierung, war das Leben teilweise so schwer, dass sie es als Notwendigkeit gesehen haben eine Gewerkschaft zu gründen. Man hat sich zusammengeschlossen um damit den mächtigen Industriellen etwas entgegen setzen zu können. Damit haben sie sich einen Gegenpol erarbeitet, der vielleicht nicht ebenbürtig ist aber wenigstens in der selben Liga spielt. Man sprach mit einer Stimme. Daraufhin haben sich die Unternehmer in Arbeitgeberverbänden organisiert. Man wusste man muss sich an einen Tisch setzen, aber es können nicht 20 Millionen Arbeiter mit tausenden von Firmenchefs an diesen Tisch. So war klar, es müssen von den jeweiligen Vereinigungen Verhandlungsführer die notwendigen Kompromisse für alle aushandeln. Dass immer wieder individuelle Interessen einzelner Personen auf der Strecke bleiben ist klar. Aber es wurden generelle Rahmenbedingen geschaffen, die für alle gültig sind und einen gewissen Standard und eine relative Sicherheit gewährleisten. Es mag vielen Individualisten zuwider sein, Menschenhorden mit Gewerkschaftsfahnen und Tröten bei Streiks im Fernsehen zu beobachten. Es mag ihnen einfältig und drohnenhaft vorkommen – ja vielleicht sogar wie eine Schafsherde der Ahnungslosen. Aber diese "Ahnungslosen" bekommen aktuell Kurzarbeitergeld. Sie genießen Kündigungs- und Mutterschutz. Es gibt Planstellen für Schwerbehinderte. Was bekommt der Musiker dessen Band aktuell nicht auftreten darf? An wen kann sich dieser Musiker wenden? Wer tritt für ihn ein, damit er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann? Ganz offenkundig, keiner!
Es wäre jetzt aber absolut weltfremd für diese Situation einzig und allein die Regierung mit den Corona-Maßnahmen verantwortlich zu machen. Natürlich habe ich in einem vorigen Artikel über die verpassten Chancen durch die öffentlich Rechtlichen Anstalten gesprochen – dazu stehe ich nach wie vor. Die Sender hätten hier die Situation deutlich verbessern können. Aber nichts desto trotz, ist die Situation bei der Kunst so prekär weil dort seit jeher das Organisieren versäumt wurde. Ein Fabrikarbeiter findet aktuell am 1. des Monates auch nicht ganz so viel Geld auf seinem Konto wie vor Corona. Das stimmt. Aber er bekommt immerhin sein Kurzarbeitergeld: Eine Errungenschaft die es nicht erst seit Corona gibt. Sie konnte sich bereits in den Neunzigern bewähren und wird jetzt wieder zum Einsatz gebracht.
Aber für die Riege der Künstler stürzt aktuell eine Welt ein. Auch ich kann bestätigen, dass Kunst immer das Gefühl des unkonventionellen vermittelt hat. Egal ob man in einer Band in Konzerthallen gespielt oder mit dem Keyboard und ein paar Boxen Hochzeiten musikalisch untermalt hatte; Oder ob man einfach in der Innenstadt vor einem Hut oder Gitarrenkoffer eine Menschentraube mit seiner Musik unterhielt – es fühlte sich kreativ, ungebunden und frei an. Aber jetzt verstehen wir, dass die Musikbranche in einer romantischen Blase gelebt hatte und eigentlich nur einem Image hinterhergehechelt ist. In der Musikbranche zu sein bedeutete nämlich zu keiner Zeit immer nur kreativ und künstlerisch zu sein. Die echten Profis, von Sting bis Jay-Z, haben erkannt, dass es auch ganz schnell ein Leben nach der Kunst geben kann und dafür muss vorgesorgt sein. Erfolgreich in diesem Business zu sein bedeutet nämlich sein Leben wie sein Instrument im Griff zu haben und dazu gehören auch sämtlichen monetären Belange die unbedingt geregelt sein wollen – auch wenn sie sich nicht so berauschend und kreativ anfühlen wie ein Auftritt vor Fans. Selbst wenn erfolgreichere Künstler sich einen Manager leisten können, so kann dieser lediglich einen einzelnen Vertrag aushandeln. Er kann jedoch keinen Rahmen für ein ganzes Genre definieren. Dazu ist er einfach zu kein und unbedeutend.
Genau deswegen wäre es von Anfang an wichtig gewesen, dass Künstler nicht immer nur davon schwadronieren ein Teil der weltweiten "Musikerfamilie" zu sein, sondern sie sollten auch endlich anfangen sich so zu verhalten. Ein bekannter Musiker darf nicht nur während Corona mit weniger bekannten Musikern solidarisch sein. Dass muss er vor so einer schweren Zeit bereits gelernt und verinnerlicht haben, nur dann kann es auch in Krisenzeiten funktionierend praktiziert werden. Und weil dies nie passiert ist, weiß ein Herr Altmeier selbstverständlich auch nicht mit wem er aktuell darüber verhandeln soll. Dazu ist die Musikbranche zu heterogen. Ein freier Musikleher hat andere Interessen als ein Alleinunterhalter oder DJ. Ein Band verliert auf andere Weise Jobs wie ein Studiomusiker. Und selbst wenn ich Til Brönner für seine wiederholten Fernsehauftritte mit seiner Sicht auf die aktuelle Krise sehr schätze, so kann auch er aktuell nicht für alle Musiker in Deutschland sprechen. Dazu fehlt ihm der Überblick über das gesamte Genre. So etwas hätte sich über Jahrzehnte in einem Verband entwicklen müssen.
Man kann nur hoffen, dass die Musiker, Schauspieler und anderen Künstler endlich erkennen, dass trotz unserer Luxusgesellschaft ein stetes Damoklesschwert über ihnen schwebt und jetzt schon die nächste Krise nach Corona im Anmarsch sein muss. Es wird nur möglich sein mit weniger Schaden durch die nächste Krise zu kommen, wenn man endlich etwas aus dieser Krise gelernt hat. Ich bin aktuell dankbar, dass ich in der Musikbranche nicht annähernd so erfolgreich wurde wie ich es unrspünglich wollte. Sonst säße ich jetzt auch ratlos zu Hause.
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