Die Pandemie ist in allen Belangen ein schlimmer Ausnahmezustand. Keine Frage. Natürlich stellt sie unsere Regierungen in Land und Bund vor ein Liste an Aufgaben die alle abgearbeitet werden müssen. Ich möchte in der Tat nicht mit unseren Spitzenentscheidern tauschen, aber dennoch stellt man bei einem Blick auf die eine oder andere Entscheidung fest, dass vieles davon nicht nachvollziehbar ist. Wir alle hätten für die Probleme unserer Zeit gerne einfache Lösungen – und schnell sollen sie bitte auch noch sein. Aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der eine oder andere Beschluss nicht nur zu kurz gedacht, sondern eher gar nicht durchdacht ist. So Manches ist entweder ein totaler Ausfall oder soll eher Opium fürs Volk sein. Der Letzte dieser Ergüsse der mich so richtig auf die Palme brachte ist der Vorstoß die Faschingsferien ausfallen zu lassen. Da stellen sich mir aber sofort ein paar dringende Fragen:
1. Was glaubt Herr Söder eigentlich, wozu die Ferien ursprünglich gedacht waren?
Zur Belustigung der Schüler sicher nicht. Es hat schon seinen Grund, dass, z. B. bei uns in Bayern, immer ziemlich genau sechs Wochen zwischen den jeweiligen Ferienblöcken liegen. Denn soweit reicht in etwa die Kraft der Schüler. Auch wenn wir schwer arbeitenden Erwachsenen immer glauben Schule wäre ach so schön, so ist es für die Kids dort doch die gleiche Belastung wie für uns der Beruf. Auch wenn wir der Meinung sind Kinderköpfe können wahre Wunder in Sachen Leistungsfähigkeit vollbringen, so geht dies doch nicht spurlos an den Kids vorbei. Nach einem dieser sechswöchigen Unterrichtsblöcke sind die Kinder meist wirklich an ihren Leistungsgrenzen und brauchen die Ferienzeit um sich zu regenerieren. Das hat nicht nur mit der körperlichen Anstrengung sondern auch mit Kopf und Psyche zu tun. Auch sie brauchen Pausen. Somit wäre ein Ausfallen der Ferien selbst in Friedenszeiten nicht gerechtfertigt.
2. Genug Stress für uns alle.
Ich merke es an mir selbst, dass der "Umzug" ins Digitale wesentlich anstrengender ist, als unser analoges Leben vorher. Am Anfang war ich mir nicht sicher ob nur mir diese Videokonferenzen anstrengender vorkommen. Darum habe ich immer häufiger bei Kollegen und Freunden abgefragt wie diese Neuerung auf sie wirkt. Die Reaktion war durchgehend, dass dies immens kräfteraubend ist. Da der Präsenzunterricht auch zugunsten des Homeschoolings ausgesetzt ist, sind unsere Kids genau der gleichen Belastung ausgesetzt unter der auch wir Erwachsenen leiden. Ich würde es in unserem Fall als Glücksfall bezeichnen, dass unsere Tochter an der Montessori-Schule ist. Denn die Lehrkäfte dort haben tatsächlich versucht in dieser Form der Zwangsdigitalisierung den sozialen Faktor am Leben zu erhalten und haben sich auf eine Anwensenheitspflicht, in Form der täglichen Videokonferenz, geeinigt. Die Kinder müssen den kompletten Schultag "anwesend" sein. Sie dürfen zwar stundenweise die Kamera und das Mikro ausschalten aber müssen trotzdem online sein. So wird dann im Rahmen dieser Präsenz auch zusammen per Video gekocht und auch gegessen um wenigstens auf diesem Wege den Kontakt der Klassenkameraden aufrecht zu erhalten. Trotzallem merken wir an unserer Tochter wie geschlaucht sie davon ist. Am gestrigen virtuellen Elternabend war festzustellen, dass alle Eltern die gleiche Erfahrung gemacht haben: die Kinder sind durchgepeitscht. Auch wenn unsere Kinder ohne zu murren sich durch diese schwere Zeit kämpfen und alles geben; Die "Videoschule" schlaucht um ein Vielfaches mehr als der Präsenzunterricht. Das liegt zum einen an den kognitiven Mehraufwänden die unser Hirn durch die Latenz leisten muss, aber auch daran das trotz aller Bemühungen eine Gruppendynamik nicht aufkommen will. Die gegenseitige Motivation unter den Schülern, die beim direkten Kontakt immer automatisch vorgeherrscht hatte, findet in diesem Maße nicht mehr statt. Für die Motivation ist aktuell auch jeder Schüler selbst verantwortlich. Auch das zehrt an unseren Kindern ganz enorm. Erschwerend kommt hinzu, dass sowohl der mentale wie auch körperliche Ausgleich, der bislang durch Fußballverein, Balettschule oder einfach dem "gechillten Zocken" mit dem besten Freund, stattfand, komplett untersagt ist. Es kann also aktuell nicht das gleiche Leistungsniveau in der Schule erwartet werden, wie vor Corona. Wer dies nicht als Ausnahmesituation für die Kinder wahrnehmen will, der muss wirklich blind sein.
Wie kurzsichtig ist es also zu glauben, dass das, was über den Lockdown hinweg aufgrund der angezogenen Handbremse an Stoff versäumt wurde, innerhalb einer Woche aufgeholt werden kann? Auch in dieser "hinzugewonnenen" (Ferien)Woche könnten wir nicht auf voller Geschwindigkeit fahren. Wie sinnvoll kann es also sein, die Kids um ihre wenigen Regenerationsphasen zu bringen, wenn damit vorhersehbar wird, dass sie, ohne Kräfte tanken zu können, nach diesem Zeitraum das bisherige Tempo nicht beibehalten können? Anstrengendere Schule plus wengier Ferien? Wie soll das zusammenpassen?
Es ist also so, dass wir in dieser Ferienwoche, nicht nur keine Chance haben werden den verloren Stoff aufzuholen, sondern wir nehmen den Kids auch noch die Kraft das bisherige Tempo für die darauf folgenden sechs Wochen auf dem bisherigen Niveau zu halten. Meine Vermutung ist, dass wir die Kids damit nicht nur nicht bei Laune halten, sondern eher mehr Lustlosigkeit ernten werden als uns lieb sein wird. Diese "gewonnene Woche" des Herrn Söder wird das Lernziel eher in weite Ferne rücken. Es war einfach viel zu kurz gedacht, dass eine Woche mehr Schule eine Woche mehr Lernen wäre.
Mir ist schon klar, dass die Kultusministerien unter enormem Druck stehen. Die kurzgedachten Rufe aus den Medien und den Schülergremien, die Abschlüsse an allen Schulen einfach abzuspecken, sind bei genauerer Betrachtung Unfung. Natürlich würde man den Schülern dieser Jahrgänge gern etwas Anerkennung angedeihen lassen in dem man ihnen aufgrund der enormen Mehrbelastung die Abschlüsse etwas erleichtern würde. Auf lange Sicht hingegen, ist diesen Jahrgängen aber leider nicht gedient, wenn man ihnen zwar mit Empathie entgegentritt, dann im gleichen Zug aber deren abgelegte Abschlüsse als "Corona-Abi" oder "Corona-Quali" in die Geschichte eingehen. Auch diese Schüler haben ihre schulische Laufbahn ordentlich absolviert, deswegen haben sie es verdient, dass nach Erfüllung der Schulpflicht, deren Abschlüsse, auch in den Augen der Wirtschaft, genauso viel wert sind, wie die der Jahrgänge davor. Keinem ist gedient, wenn Personalchefs Zweifel an der Qualität eines solchen Abschlusses anmelden und deshalb das Einstellen von Personal oder Lehrlingen bis auf einen Abschlußjahrgang nach Corona aussetzen. Damit würden wir eine gesamte Jahrgangsstufe mit ihren Abgängern "verlieren". Auch wenn sich das beibehalten der Prüfungsstandards für die Schüler ungerecht anfühlen mag, sollten wir trotzdem daran festhalten und daran glauben, dass sie diese Entscheidung in der Post-Corona-Ära irgendwann nachvollziehen können und froh sind, dass so entschieden wurde – um deren eigener Zukunft willen.
Gerechter wäre es hier eher, im gesamten Jahrgang 2021 die Abschlussklassen wiederholen zu lassen allerdings dürfte das weite Kreise ziehen, denn im darauf folgenden Jahr würden diese Schüler im weiteren Verlauf fehlen. Denn es würden sich im folgenden Jahr logischerweise keine Schüler an den Hochschulen einschreiben und Ausbildungsbetriebe fänden keine Azubis. Ob die Hochschulen dies finanziell verkraften könnten kann ich persönlich nicht einschätzen. Wo Kleinbetreibe mit einzelnen Azubis vielleicht auf ein Jahr ohne Lehrling verzichten könnten, stünden Industriebetriebe mit Lehrwerkstätten vor dem gleichen Problem wie die Hochschulen und hätten für diesen Jahrgang eine Infrastruktur, die im laufenden Jahr unterhalten werden müsste, obwohl dann für drei Jahre nur 70% der üblichen Ausbildungen stattfinden könnten.
Eine Regelung bei der ein Wiederholen auf freiwilliger Basis möglich wäre, würde zu einer Zweiklassen-Gesellschaft führen. Die Schüler die ohne Wiederholen die Abschlüsse absolvieren könnten, erwecken den Anschein akademisch wertvoller zu sein wohingengen die Wiederholer zwangsläufig wie Sitzenbleiber wirken würden. Diese Form der konstruierten Ungleichheit wäre keine erstrebenswerte Lösung. Somit zeigt sich, dass die gesamte Schulproblematik weitaus komplexer ist als uns die Politik, mit ein paar Sonder-Pressekonferenzen zum Thema Bildung, weis machen will. Hier muss die Politik sich der Verantwortung bewusst werden und mehr bieten als nur Worthülsen und Luftpumpen-Lösungen. Kinder sind nicht unwichtiger als die vulnerablen Gruppen. Im Gegenteil, auch sie sind eine vulnerable Gruppe!
Wir Eltern sind besorgt und uns interessieren nicht irgendwelche Beschlüsse oder politischen Winkelzüge. Für uns stehen die Kinder im Vordergrund. Obwohl wir vor einem halben Jahr noch relativ zuversichtlich waren, wird es zunehmend besorgniserregend, wenn wir unsere Kinder vom Wesen nicht mehr wiedererkennen – wenn aus einem Wirbelwind ein introvertierter Stubenhocker wird. Ich bin sehr stolz auf meine Tochter wie sie mit ihren 12 Jahren die Situation für sich meistert und sich selbst mit unserem Zuspruch immer wieder motiviert ihre Leistung zu bringen. Allein schon aus Respekt vor ihr, kann ich mit dem Beschluss von Herrn Söder nicht einverstanden sein. Das muss auch die Politik einsehen.
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