Ich bin dieses ganze Geschwätz über die Digitalisierung und 5G langsam mehr als leid. Unsere Regierung schwadroniert seit geraumer Zeit von einer Weiterentwicklung des Digitalen, die endlich vorangetrieben werden müsste, was de facto aber einfach nicht passiert. Jetzt, zu Pandemiezeiten, wird dieses Versagen überdeutlich.
Das Problem liegt aber per se nicht bei unserer digitalen Infrastruktur, denn nach dem was ich sehe nützt der Bürger diese eigentlich vorbildlich aus. Egal ob im privaten Bereich, wo Familien durch Homeschooling dazu gezwungen waren ihr digitales Arsenal gehörig aufzustocken oder in Firmen, die sich tiefer in digitale Räume zurückziehen mussten als für sie gut ist. Der Bürger hat seine Hausaufgaben gemacht.
Ich sehe allerdings das Paradoxe in den Beschwörungen der Digitalisierung, was unseren Staat angeht: Gerade in Zeiten von Corona, wo der Bürger, staatlich verordnet, in die digitalen Räume gedrängt wird um ein Teams-Meeting nach dem anderen abzuhalten, mutet es doch hochgradig absurd an, in den Medien zu hören, dass Gesundheitsämter ihre Daten manuell erfassen, auswerten und dann per Fax übertragen. Welches halbwegs moderne Unternehmen hat heute noch ein Faxgerät? Das ist Technologie aus grauer Vorzeit! Beim RKI werden diese dann vermutlich aus den "Zetteln" wiederum von einem Sachbearbearbeiter ausgelesen um dann in irgendein System eingepflegt zu werden. Da wird mir als Bürger schnell klar, woher der absurde Wert von 50/100.000 herrührt. Wenn ich noch in Betracht ziehe, dass diese vom Staat vorgeschriebene Zettelwirtschaft, die der Gastronomie vor ihrem Shutdown aufgehalst wurde, in dieses armselige "System" noch mit reinspielte, muss ich mich wundern, dass überhaupt jemals ein einziger Fall zurückverfolgt werden konnte.
Was ich als extrem schlimm empfinde, ist, dass der Staat sich auch nicht von privaten Unternehmen dabei helfen lässt, dieses Problem strukturell in den Griff zu bekommen. So gibt es aktuell ein Projekt, in das Smudo von den Fantastischen Vier zusammen mit Tim Mälzer involviert ist. Sie haben eine App entwickeln lassen, die Gastromen die Möglichkeit gibt die Erfassung ihrer Gäste über einen QR-Code, automatisiert, durchzuführen. Der Gast lädt sich die App herunter und kann damit, den auf dem Tisch abgebildeten, QR-Code einscannen. Somit sind automatisch die Tischnummer, die Daten des Gastes und die Uhrzeit erfasst. Ein intelligenter Regierungsapparat würde solche Konzepte ohne Verzug aufgreifen und in bestehende Strategien/ Systeme integrieren. Das Problem ist nur, dass vom bloßen Gerede über Digitalisierung noch lange keine Infrastruktur entsteht. Dafür müsste etwas getan werden. Und ein solches System wurde bis heute noch nicht in Auftrag gegen.
Ich erinnere mich noch an 2008 als man die Griechen für Hinterwäldler hielt, weil deren Finanzsystem nicht auf Computer umgestellt war. Dort wurde alles per Hand auf Karteikarten erfasst. Die Bearbeitung der einzelnen Steuerdaten hat so lange gedauert, dass Steuerdelikte erst Jahre nach deren Verjährung aufgedeckt werden konnten. Zu spät um Steuersünder rechtlich zu belangen. Das wusste man sowohl in der EU als auch dort. Die Art und Weise wie die deutschen Gesundheitsämter mit den Coronazahlen umgehen ist in etwa auf dem gleichen Niveau. Man sagte uns in den Medien, bis weit in den Januar 2021 hinein täglich, dass die aktuell übermittelten Zahlen vom RKI immernoch nicht repräsentativ seien, weil noch nicht alle Daten der Weihnachtsfeiertage erfasst wären. Ernsthaft? Jemand der sich zu Weihnachten mit Corona infiziert hatte, der hatte eine gute Chance Mitte Januar bereits wieder auskuriert zu sein, bevor seine Daten beim RKI erfasst waren? Was soll so eine Auswertung zur Bewältigung der Pandemie beitragen können? Wenn dies die Basis für den aktuellen Grenzwert von 50/100.000 ist, dann wird unsere Gesellschaft bis zum Herzstillstand heruntergefahren, nicht weil die Pandemie nicht in den Griff zu bekommen ist, sondern weil die Bewältigungstrategie einfach dilletantisch und hinterwäldlerisch ist. Auch wenn die Wissenschaft immer betont, dass dies kein medizinischer Grenzwert sondern ein Politischer ist, stimmt nicht mal das. Es ist ein Wert der direkt vom Grad unseres strukturellen Versagens abhängt.
Warum hat der Staat nicht gleich zu Beginn, bei z. B. SAP, eine Software in Auftrag gegeben, an die alle deutschen Gesundheitsämter angeschlossen sind? Ein Programm, dass die Einbindung von Bundeswehr-Soldaten zur manuellen Auswertung von Zetteln überflüssig macht, weil die Software dies automatisiert erledigt – in Sekundenbruchteilen! Diese Software könnte eine Schnittstelle für Drittanbieter haben, in die sich nicht nur das komplette Schul- und Gesundheitssystem, sondern auch die DEHOGA, die AUMA oder der BDKV einklinken könnten um deren Daten automatisiert zu übermitteln – in Sekundenschnelle! Dann könnten wir Ansteckungen eventuell noch am selben Tag nachverfolgen, und es wären, mit entsprechender Rechenleistung, auch Nachverfolgungen von weit über 200 Fällen pro 100.000 Einwohner möglich. Das gäbe unserer Gesellschaft mehr Luft um sowohl sozial als auch wirtschaftlich zu agieren. Natürlich hätte das vor Jahren schon erledigt werden müssen und wird Monate dauern. Aber nur weil es dauern kann bis dies funktionierend umgesetzt ist, heisst das nicht, dass man es jetzt nicht machen sollte! Lieber spät als nie. Aber die Politik entscheidet sich wieder für "nie".
Für dieses Generalversagen der Regierung kann sie aber nicht das fehlende 5G verantwortlich machen – was unter dem Strich auch deren Versäumnis wäre. Die Art von Datenübertragung die für die vorher genannten Lösungsansätze notwendig gewesen wäre, ist mit der aktuellen Infrastruktur problemlos zu bewältigen. Digitalisierung ist also nicht nur eine Sache des Netzausbaus, sondern muss zu allererst softwareseitig komplett neu gedacht werden. Auch wenn der Netzausbau zukünftig noch weiter voran getrieben werden muss, was sicher noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, dauern kann, dann bestünde aktuell die Möglichkeit auf Basis der aktuellen Hardware, die Softwareseite noch massiv auszubauen. Das Potential, dass sich hier aktuell schon bieten würde, ist immens. Das setzt aber Politiker voraus deren Verständnis für Digitalisierung über Facebook, Instagramm und Twitter weit hinausgeht. Es braucht im Amt für Digitalisierung keine Politologen wie Dorothee Bär, sondern fähige Visionäre die ein Verständnis dafür haben, was mit digitalen Medien alles möglich, und vor allem sinnvoll, ist.
Aber aktuell leben wir in einem Staat in dem es sich anfühlt als würde ein Barde zu Ross jeden Montag seine Schriftrolle vor dem Eingang des RKI ausrollen und begleitet von Harfen, Flöten und Tambourins die aktuellen Zahlen des jeweiligen Gesundheitsamtes in Reimen vortragen.
Holde Freunde der gepflegten Politik. Möget ihr euch sparen das Gechwätz von Digitalisierung und Fortschritt.
Kommentar schreiben