Corona-App vs. Alexa

Die Debatte um den Datenschutz nimmt in meinen Augen gerade groteske Formen an. Wir leben in einer Welt in der wir gesellschaftlich ums Überleben kämpfen. Damit meine ich nicht nur den sprichwörtlichen Kampf um Leben und Tod, den wir gegen Corona führen, sondern auch die gesellschaftlichen Verwerfungen die wir durch die Corona-Maßnahmen auf uns nehmen müssen. Man kann sich jetzt natürlich darüber streiten ob diese gerechtfertig sind oder nicht. Aber da will ich in diesem Artikel gar nicht hin.

 

In Anbetracht der Dimension der Pandemie fragt man sich, wie man im gleichen Atemzug dem Thema Datenschutz die gleiche Dringlichkeit geben kann, wie z. B. den Themen Menschliches Leben, Wirtschaft, Bildung und Soziales Zusammenleben. Mir drängt sich immer der Eindruck auf, dass einige Menschen sich im Internet Rechte herausnehmen, die sie im realen Leben nie hatten. Das Recht auf Datenschutz im Netz war da nichts anderes als die Verzweiflungstat, das Internet so rechtsfrei zu erhalten wie es aktuell ist, bevor der Gesetzgeber die Möglichkeit nutzen würde, diese Flanken zu schließen. Wir haben uns leider schon daran gewöhnt in der Anonymität des Internets noch ein bisschen mehr Freiheit zu genießen als in der wirklichen Welt.

 

Als 2016 das neue DSGVO erlassen wurde, merkte so ziemlich jeder relativ schnell, dass diese Verordnung das Leben für 95% der Bürger eher verkompliziert und erschwert hat. Nun waren zwar plötzlich unsere Daten "sicher" – was auch immer das im Detail bedeuten mag – aber wir mussten uns auch plötzlich durch zahllose Bestätigungsfenster klicken. Das empfanden viele noch als hinnehmbar. Was aber plötzlich nicht mehr ging, war bei einem Schulausflug oder einer Schulveranstaltung Fotos zu machen. Klassenlisten mit den Kontaktdaten der Eltern durften plötzlich nicht mehr erstellt und herausgegeben werden - selbst wenn sich alle Eltern einverstanden erklärt hätten. Und es gab noch zahllose weitere Ereignisse die plötzlich im Schatten dieser DSGVO mit ans Tageslicht kamen, bei denen sich die Bürger gefragt haben, wer da in welchem Maße vor was (oder wem) geschützt wird. Aber Datenschutz ist jetzt einfach die jüngste heilige Kuh im Stall, damit müssen wir wohl erstmal leben.

 

Das Absurde daran ist aber, dass diese Gruppe von Menschen auf ihr Recht auf Datensicherheit pocht, ohne wirklich tiefergehend über das Thema Daten nachgedacht zu haben. Einerseits halten sie sich selbst für so "interessant" und relevant, dass sie glauben, dass gerade ihre Daten so besonders wichtig und verlockend seien. Andererseits sind es auch diese technikaffinen Zeitgenossen, die dann ihr halbes Leben über Google organisieren, die Smartwatch am Handgelenk haben und zu Hause ihre Musik über Alexa abspielen. Amazon ist ja sowieso der Go-To-Shop für einen Großteil der Deutschen. Aber bei diesen Dingen fragt sich offenbar keiner was dort für Daten eingesammelt, ausgewertet und weiterverkauft werden. Hier wird klar der Komfort, der durch diese Datenkraken bereitgestellt wird, über das eigene Recht auf Datensicherheit gestellt. Das ist aber nichts anderes als prinzipienlose Rosinenpickerei!

 

Und so wird auch bei der Diskussion über die Corona-App immer wieder der Datenschutz ins Spiel gebracht. Bei der Konzeption und Umsetzung dieser App wurde das eigentliche Prinzip solch einer App – so wie sie in asiatischen Ländern erfolgreich eingesetzt wird – dermaßen kastriert, dass die Leiter diverser Gesundheistsämter immer wieder beklagen, dass die App für die Rückverfolgung nicht herangezogen werden kann. Einfach, weil die Daten durch die Anonymisierung unbrauchbar sind. Das Argument der verantwortlichen Politiker und Entwickler, dass der Datenschutz ein hohes, fast schon nicht verhandelbares Gut wäre, könnte man durchaus gelten lassen, wenn die Bürger bei Amazon und Google dieses Recht nicht selbst täglich auf sträfliche Weise aufgeben würden. So ist es nicht zu rechtfertigen, dass wir beim Schutz von Leben, Wirtschaft und Sozialem Frieden am Datenschutz festhalten, aber zum Navigieren über Google unsere achso heiligen Prinzipien wegen der Einfachheit über Bord werfen. Wo ist also der Unterschied ob Google unsere Bewegungen tracked oder die Corona-App? Jetzt könnte man argumentieren, dass bei der App die Daten beim Staat landen, und dann unser achso "regimehafter" Staat dann über uns bescheid wüsste. Aber das lässt sich schon insofern entkräften, dass unser Staat sich diese Daten auch über Google besorgen könnte. Wie man weis gehen die Daten von Apple, Google und Co. automatisch an die NSA. Wieso gegen eine Gegenleistung nicht auch an den deutschen Staat?

 

Das Schlimme ist eher, dass unsere Politik heutezutage offensichtlich das ursprüngliche Prinzip von Demokratie aus den Augen verloren hat. Ich habe Demokratie so gelernt, dass ALLE abstimmen und die Mehrheit entscheidet. Und die Minderheit muss dies dann mittragen. Heutzutage fokussieren sich Politiker aber vermehrt auf Minderheiten, und die Mehrheit muss dies dann mittragen. Wie wäre es sonst zu erklären, dass Parteien in unterschiedlichen Belangen unserer Gesellschaft kurzerhand Hartz 4 Empfänger, alte Menschen, oder Datenschützer zum Mittelpunkt erklären? Warum werden also bei der Corona-App die Vorbehalte einiger weniger Bedenkenträger dem Nutzen einer gesamten Gesellschaft übergeordnet? Das steht meiner Ansicht nach in keinem Verhältnis. Hier hat sich auch ein ehemaliger Bundesrichter eindeutig positioniert, in dem er gesagt hat, dass die Grundrechte ebenbürtig und nicht gegeneinander abzuwägen sind. Das Recht auf Leben wiegt genauso schwer wie das Recht auf Würde, Meinungs- und Religionsfreiheit. Und Ärzte und Politiker haben nicht zu entscheiden wie sich ein studierter Eventmanager fühlen darf oder soll, wenn dieser aktuell sein Geld nicht verdienen darf.

 

Mal abgesehen von der Tatsache, dass die DSGVO grundlegend überarbeitet werden muss; Wenn die Regierung den Datenschutz auf eine begrenzte Zeit einschränken würde, dann könnten wir vermutlich mit wesentlich geringeren Einschränkungen leben. Wir würden unser gesellschaftliches Leben wieder etwas hochfahren können. Wir gäben einer Vielzahl von Berufsgruppen die Möglichkeit wieder ihrer Arbeit nachzugehen. Aber solange eine kleine Gruppe von Menschen im Internet lieber als Funnboy23 oder Pussycat2000 anstatt ihrem Klarnamen unterwegs sein möchte, und das nur, weil sie glauben, dass gerade ihr Bewegungsprofil der Heilige Gral für die Geheimdienste ist, solange wird die deutsche Corona-App wohl eine Lame-Duck bleiben. Und hundertausende Menschen haben nach wie vor ein Arbeitsverbot. Wer von uns möchte diesen Menschen gerne erklären warum?

 

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